Im letzten Blogeintrag habe ich mich für Authentizität und Transparenz in der PR ausgesprochen. Die Stimmen (online und offline) waren vielfältig: Von Zustimmung über Zweifel, ob Unternehmen jemals authentisch sein könnten, bis hin zu Meinungen von PR-Strategen, dass Authentizität keinen Raum in der PR hat. Jetzt, einige Tage und viele Debatten später, sehe ich das Thema differenzierter: Ja, wer authentisch kommuniziert, erreicht Menschen besser, gewinnt Fürsprecher und erzeugt Good-will. Das ist eine große Chance besonders für die Kommunikation in sozialen Netzwerken, die immer bedeutender für die Meinungsbildung werden. Aber: Wer ein Unternehmen so zeigt wie es ist, und offenlegt, was seine Motivation ist, bietet Angriffspunkte für Gegensprecher und schwächt gegebenenfalls seine Verhandlungsposition. Das ist nicht gewünscht und kann dazu führen, dass ein Unternehmen seine Interessen nicht mehr durchsetzen kann. Wie hält man es also mit der Authentizität? Letztendlich ist das wohl auch eine Frage des Verständnisses der Meinungsbildung und des Selbstverständnisses der PR.
Der Status Quo ist: Entgegen den alten, aber noch immer gültigen Kodizes des Berufsstandes und den Regeln des Standesverbandes DPRG stellen PR-Profis heute nicht mehr den Dienst an der Öffentlichkeit ganz nach vorne. Vielmehr bekennen sie sich immer mehr dazu, zuvorderst Interessenvertreter ihrer Mandanten zu sein (siehe z.B. der Code of Conduct des Marktführers PLEON). Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung Authentizität: Agenturen bekennen klar, wofür und für wen sie stehen.
PR als Interessenverteidiger
In vielen Fällen besteht diese Interessenvertretung darin, Interessen zu verteidigen. Hier gleicht die Tätigkeit eines PR-Profis der eines Strafverteidigers. Seine Aufgabe ist, die Interessen seines Mandanten vor Angriffen von Gruppen zu schützen, die als Gericht die Öffentlichkeit wählen: politische Widersacher, kritische Journalisten, engagierte Bürgerinitiativen, ambitionierte Gewerkschaften, anarchische Blogger und sensationsgierige Boulevardmedien sind nur ein Ausschnitt. Auch wenn öffentlich hervorgebrachte Vorwürfe im Kern ihre Berechtigung haben, bringen die gegnerischen Parteien dabei (natürlich) vor allem die Argumente vor, die ihrem eigenen Interesse dienlich sind; nur in seltenen Fällen bilden diese die Wahrheit ab. Der Prozess einer solchen Auseinandersetzung läuft ähnlich ab wie ein Prozess vor Gericht: Jeder stellt den Sachverhalt möglichst in seinem Sinne dar, versucht Fürsprecher für seine Darstellung zu finden und die Entscheider in ihrer Deutung der bekannten Sachverhalte zu beeinflussen.
Authentizität scheint hier tatsächlich ein strategischer Fehler zu sein: Wer sich öffnet, wer Hintergründe erklärt und Motivationen, liefert seinem Gegner möglicherweise Munition für weitere Angriffe, wenn nicht gar den Hinweis, der einen überführt. Immerhin kämpfen die Gegner mit harten Bandagen: Schnell wird jede noch so kleine vermeintliche Schwäche aufgegriffen, dann populistisch überhöht, es werden die Medien (und die Community) raffiniert eingesetzt, und schon hat das entsprechende Unternehmen fast keine Chance mehr, die eigene Position angemessen darzustellen. Denn die Dinge sind meist sehr differenziert. Und Differenziertes lässt sich in der Welt der schnellen Medien kaum noch vermitteln. Also doch lieber kontrollieren, taktieren und unnahbar sein?
Wer Menschen für sich gewinnen will, sollte zeigen, wer ist.
PR hat aber noch andere Aufgaben, als die Interessen ihrer Klientel gegen andere Interessen zu verteidigen. Insbesondere wenn es um Produkte oder Marken geht, um neue Mitarbeiter und Innovationen oder die Kommunikation junger, bisher unbekannter Unternehmen. Dann ist es die Aufgabe der PR, Interesse zu generieren und nachhaltig zu bewahren. Hier gibt es keine Gegner oder aggressive Vorwürfe. Hier ist der Gesprächspartner weder Richter noch potenzielle Bedrohung. Hier ist er ein Partner. Wenn man Menschen gewinnen will, ist Authentizität von zentraler Bedeutung, insbesondere in der Online-Kommunikation, wo “Authentizität” ein großes Stück der immanenten “Virtualität” ausgleicht. Wer an der Authentizität dessen zweifelt, der einen gewinnen will, der wendet sich ab, nirgends geht das einfacher als im Web.
Unternehmen im Allgemeinen und PR-Leute im Besonderen tun gut daran zu verstehen, dass Täuschen und anderen etwas vormachen ihnen nicht dabei hilft, nachhaltig Menschen für sich zu gewinnen. Wir fahren bei allen Meinungsführern, egal ob Journalisten, Blogger oder der Twittersphäre, einhundert Mal besser, wenn wir den Bullshit-Generator auslassen und einfach, klar und deutlich mit den Leuten sprechen. Auch über Schwächen, wenn sie relevant sind. Auch über Probleme. Man kriegt was man gibt: Das gilt für Anerkennung ebenso wie für Respekt. Aber eben auch für “Verarschung” und nicht ernst nehmen. Deswegen lohnt es sich, das Risiko einzugehen und sich zu öffnen. Indem man sich zeigt, wie man ist, wird man sicherlich auch Kritik ernten, und man wird bestimmt auch einige Anhänger verlieren. Aber man wird klarer erkennbar, und man gewinnt deutlich mehr Anhänger dazu.
Langfristig: Mehr Fürsprecher gewinnen als Gegensprecher
Das Web 2.0 verändert die Art, wie sich Menschen eine Meinung bilden, grundlegend. Eine Zeit lang mag sich der Konflikt zwischen Unternehmen und den Interessengruppen verschärfen. So wie sich die Unternehmen Profis zur Seite holen, um ihre Interessen zu verteidigen, so rüsten auch die Interessengruppen auf: Mit den Waffen des Web 2.0 in einem Guerilla-Krieg. Das ist ein Krieg, den die Unternehmen langfristig nicht gewinnen können. Der Fall von “Bahn vs. netzpolitik.org” zeigt, dass man als Unternehmen gegen gut vernetzte Interessengruppen wenig Chancen hat, wenn man sie als Gegner begreift. Gute PR-Profis verstehen schon lange, dass es keinen Sinn macht einen “Krieg” zu führen; denn meistens verliert auch der Gewinner an öffentlicher Reputation.
Social Media sind eine sehr große Chance für Unternehmen und die PR, Konflikte positiv zu lösen, indem sie sich nicht darauf konzentrieren, Gegensprecher abzuwehren, sondern Fürsprecher für sich zu gewinnen. Fürsprecher bedeuten Stärke. Der Weg, Fürsprecher zu gewinnen, führt über zuhören und die Interessen der anderen ernst nehmen. Je authentischer das ist, je mehr echte Menschen in echten Dialog treten, desto glaubwürdiger und erfolgreicher ist das.
Je schneller sich ein Unternehmen darauf einlässt, mit Menschen in einen ehrlichen Dialog zu gehen, desto schneller werden sich Menschen für das Unternehmen bekennen: Durch Empfehlungen, followen in Twitter, positive Kommentare, Fanship in Facebook, Bewertungen in Blogs und vieles, vieles mehr. Je mehr Fürsprecher ein Unternehmen für sich gewinnen kann, desto stärker wird es, und desto ungefährdeter kann es authentisch sein. Ein kleiner Nebeneffekt: Je authentischer sich ein Unternehmen mit dieser Kultur auseinandersetzt, desto mehr ist es dabei. Meinungen werden immer mehr im Netz gemacht. Und nur wer dabei ist, darf mitreden.
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