Opel geht in die Image-Offensive. Das angeschlagene Unternehmen investiert aktuell offensichtlich Millionenbeträge, um der Welt mitzuteilen, dass Opel noch lebt. “Wir leben” steht auf der ersten ganzseitigen Anzeige und “Wir leben Autos” eine Seite weiter. Deutlich kleiner ist auf der zweiten Seite ergänzt: “Leidenschaft ist stärker als jede Krise”. Opel lebt also (Autos). Und Opel ist leidenschaftlich. Das lernen wir aus der Anzeige. Aber ist das glaubwürdig?
Diese Anzeige fand ich am Sonntag in der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” (FAS). Update: Heute auch in der Süddeutschen Zeitung. Ich fand es so bemerkenswert, dass ein so angeschlagener Konzern das Geld für eine doppelseitige Anzeige in der FAS hat, dass ich das auf Twitter gepostet habe. Ein paar Minuten später hatte ich eine ganze Menge Antworten von anderen Twitterati, welche die Anzeige auch in anderen Medien, darunter auch die Bild und die Bild am Sonntag gesehen haben. Eine ganze Seite in diesen Leitmedien kostet leicht 50.000 EUR und mehr. In der aktuellen Medienkrise bekommt man sicherlich gute Rabatte, aber insgesamt dürfte die Kampagne sicherlich locker in einen siebenstelligen Bereich kommen.
Und angesichts der Botschaft (“wir leben”, “wir sind leidenschaftlich”) fragte ich mich, wieviel Opel wohl in Social Media investiert. Immerhin ist das “Realtime-Web” ja durchaus etwas sehr lebendiges, und aufgrund der Authentizität sind Social Media sicherlich geeignet, “Leidenschaft” zu transportieren. Und gibt es im Social Web vielleicht Menschen, welche die von Opel bezweckte Meinungsbildung “Opel lebt und ist lebendig” bestätigen?
Das Ergebnis einer kurzen Recherche hat mich dann doch überrascht. Opel investiert in Social Media: Offensichtlich nichts. Ein schöner Fall, um den Umgang und den möglichen Nutzen von Social Media zu illustrieren.
Update: Dieser Beitrag geht weniger um Opel. Ich will hier Opel gar nicht kritisieren. Ich mache mir nur Gedanken, was man lernen kann. Dieser Beitrag “benutzt” also nur das Beispiel Opel, um ein grundsätzliches Problem zu erörtern, welchen Stellenwert wohl Medienarbeit, Anzeigen und Social Media in der Unternehmenskommunikation haben. Das Beispiel Opel ist auch deswegen ein gutes Beispiel, weil hier ein sonst relevantes Argument (“Kein Budget für Social Media”) sicher keine Rolle spielt. Dazu ist das Budget für die Anzeigenkampagne einfach zu groß.
Update: Das ganze Ausmaß der Kampagne ist schön auf Horizont beschrieben.
Eine Bestandsaufnahme
Am Anfang steht natürlich die Frage: Warum sollte denn Opel in Social Media investieren? Bringt das denn irgendetwas? Okay. Richtig. Gute Frage. Ich stelle dagegen: Warum investiert Opel einen Millionenbeitrag in Print-Werbung? Aber dazu gleich später. Zunächst mal die Bestandsaufnahme von Opel in Social Media:
Punkt 1: “Opel” ist ein Riesen-Thema auf Twitter
Nahezu minütlich – selbst am Sonntagfrüh – erscheint auf Twitter ein neuer Tweet, in dem Opel erwähnt wird. Man findet Beiträge in fast allen Sprachen, viele sind “nur” Hinweise auf News, aber der Tenor ist – zumindest in den Sprachen, die ich verstehe – überwiegend negativ. Das hat nicht immer etwas mit Opel direkt zu tun, auch mit Magna und GM, aber der Kontext ist negativ. Das fördert nicht das Image.
Und auch die Google Blogsuche liefert unzählige Fundstellen in Blogs, die nicht das Produkt “Opel”, sondern das Unternehnmen betreffen.
Punkt 2: Opel ist auf Twitter quasi nicht vertreten
Es gibt offensichtlich zwei offizielle Twitter-Accounts. Einen deutschen unter http://twitter.com/OpelnewsDE und einen englischen unter http://twitter.com/GMnewsDE. Beide Accounts sind nicht professionell eingerichtet, die Opel-News haben 62 Follower, die GM-News 29. Beide Accounts folgen keinem Anderen. Ganz offensichtlich handelt es sich um einen Newsfeed der Opel-Pressestelle.
Punkt 3: Opel hat es versäumt, ein Netzwerk (an Fürsprechern) aufzubauen
Die Zahl der Follower eines Twitter-Accounts sagt nicht zwingend etwas über den Erfolg von Twitter-Maßnahmen. Niemand kann z.B. sagen, was die 8.000 Follower von Lufthansa wert sind. Bei Opel liegt der Fall allerdings etwas anders: Man kann ohne große Zweifel sagen, dass die 62 Follower von OpelNewsDE heute NICHT viel wert sind. Opel hat es versäumt, mit den Menschen, die sich online unterhalten (und die potenziell am Unternehmen Opel interessiert sind) in Dialog zu kommen. Genau die wären es, die jetzt in der öffentlichen Debatte (zumindest potenziell) etwas positives beitragen könnten. Die z.B. aus eigener Beobachtung sagen könnten: Opel lebt und ist leidenschaftlich, weil sie es selbst so erlebt haben.
Punkt 4: Opel ist generell in Social Media nicht auffindbar
Der folgende Punktist ein wenig heikel, weil ich möglicherweise nicht ausreichend recherchiert habe: Die Opel Unternehmenskommunikation scheint in den sozialen Medien überhaupt nicht präsent zu sein. Ich habe kein Blog gefunden, keine Beiträge in Foren, keine Aussagen in Twitter. Nichts.
Fazit
Man kann wohl festhalten, dass Opel (bzw. die Opel Unternehmenskommunikation) nicht – oder so gut wie nicht – in Social Media investiert. Auch wenn es das ein oder andere geben mag, wenn man es nicht findet, ist es wie nicht existent.
Chancen von Social Media für Opel
Da komme ich zurück zur Ausgangsfrage: Warum sollte denn Opel in Social Media investieren. Und ich komme auch zurück zur Gegenfrage: Warum hat Opel einen Millionenbetrag in Print investiert?
Das Ding mit der Reichweite
Mit der Print-Kampagne hat Opel ganz ohne Frage zigmillionen Menschen erreicht. Ich bin mir sicher, dass Opel eine gute Media-Agentur hat, die den optimalen TKP (Tausender-Kontakt-Preis) errechnet hat. Ganz ohne Frage ist die Anzeige auch sehr aufmerksamkeitsstark: Zwei ganze Seiten in knalligem Gelb kann man wohl kaum übersehen.
Aber was bringt das? Welche Botschaft vermittelt die Anzeige. Sie vermittelt wohl genau das, was sie sagt: Opel lebt noch. Klar, wenn Opel so präsent ist, müssen die ja leben. Und erst recht müssen sie auch noch vital sein, wenn die Millionen dafür ausgeben zu sagen, dass sie leben. Dass so eine Anzeige sehr viel Geld kostet, weiß auch jeder.
Update: Christian Bölling hat in seinem Kommentar unten richtigerweise darauf hingewiesen, dass Opel ja jetzt zur IAA etwas tun muss. Insbesondere die neue Marke (“Wir leben Autos”) wie geplant kommunizieren. Ich finde es allerdings bemerkenswert, dass Opel diesen (wahrscheinlich so nicht gedachten) neuen Slogan auf die Krise ummünzt. (“Wir leben” und “Leidenschaft ist stärker als jede Krise”)
Update: “Unser Ziel ist es, mit einem konzentrierten und mutigen Auftritt innerhalb von vier Tagen alle Unsicherheiten und Fragezeichen, die es um Opel gegeben hat, zu eliminieren und deutlich zu machen: Wir sind zurück”, sagt Alain Visser, Vice President Sales, Marketing & Aftersales Opel/Vauxhall, auf Horizont. “Alle Unsicherheiten und Fragezeichen? Nur mit einer Werbekampagne. Na dann Prost
Das Ding mit der Überzeugung
Aber was bringt das? Verkauft Opel deswegen mehr Autos? – das ist ja eine gern gestellte Frage. Gewinnen mögliche Käufer damit Vertrauen zurück? Ich bezweifle das – zumindest bei Menschen, die sich im Netz bewegen. Das mögen sicherlich nicht alle Einwohner Deutschland sein, aber mit Sicherheit ein ganz beträchtlicher Teil. Und vor allem sind darunter sehr, sehr viele Meinungsführer.
Es gehört inzwischen zum Allgemeinswissen jedes Werbers/Kommunikators, dass die Glaubwürdigkeit von Werbung deutlich unter der von Aussagen von Peer-Groups liegt. Wer heute etwas über Opel liest, der gewinnt den Eindruck, dass Opel nahezu zu 100% Opfer ist. Das ist im Netz so, das ist auch in Print so. Opel scheint nicht wirklich lebendig zu sein, schon gar nicht leidenschaftlich, Opel scheint komplett von anderen abhängig zu sein. Wenn jemand den Stecker zieht, ist Opel tot.
Warum denn nicht beides?
Ich will mir kein Urteil darüber erlauben, ob sich die Investition von Opel in die Print-Kampagne lohnt. Mein Vermutung ist: Ja. Die Anzeige setzt einen Kontrapunkt zur Berichterstattung. In der FAS ist die Anzeige auf den Folgeseiten einer großen Berichterstattung zu Opel erschienen. Und sie ergänzt die PR-Arbeit, die dafür sorgt, dass auch die Perspektive von Opel und den Mitarbeitern in der (Print-)Berichterstattung dargestellt wird.
Es ist aber ein simpler Fakt, dass sich Menschen in Deutschland nicht nur durch die Lektüre von Zeitungen und Zeitschriften eine Meinung bilden. Das hat Opel offensichtlich einfach vergessen. Menschen diskutieren das Theman “Opel” online. Und Opel selbst nimmt an dieser Debatte nicht teil.
Der Nutzen von Social Media
Der Nutzen von Social Media fürOpel ist simpel:
- Indem Opel selbst an der Debatte teilnimmt, hat Opel zumindest die Chance, die Debatte mit zu führen. In dieser Debatte könnten die Menschen [sic!] von Opel die Dinge aus eben einer menschlichen Perspektive darstellen. Das ist immer überzeugender als ausformulierte und durchgestylte Statements eines Verwaltungsrats.
- Und weiterhin könnten fremde – also potenziell unverdächtige – Menschen, die schon länger mit Opel im Dialog sind, bestätigen, dass Opel durchaus noch “lebendig” und “leidenschaftlich” ist. Nämlich weil sie es selbst erlebt haben.
Natürlich kann man die Frage stellen, ob das wirklich ausreicht, um Menschen zu überzeugen, dass Opel noch lebendig und leidschaftlich ist – was ja offensichtlich das Ziel der Millioneninvestition ist. Ich kann diese Frage nicht spontan beantworten, schon gar nicht in einem spontanen Blogbeitrag. Aber eines weiß ich: Wer nicht an den Debatten im Netz teilnimmt, und wem es nicht gelingt, Fürsprecher für sich zu aktivieren, hat schlichtweg keine Chance, an der Meinungsbildung im Netz mitzuwirken. Das Netz lässt sich sicher nicht kontrollieren. Aber man kann teilnehmen.
Und dass diese Meinungsbildung im Netz nicht mehr ein isoliertes Phänomen von ein paar “Nerds” ist, müsste inzwischen auch in die Vorstandsetagen von Konzernen vorgedrungen sein. Zuletzt hat der Fall Jako (siehe dazu die Chronologie im Blog von Stefan Osswald und die Darstellung in einem meiner Vorträge auf Slideshare) eindrucksvoll gezeigt, wie schnell Themen aus der Blogosphäre in die klassischen Medien dringen. Und die Liste der Journalisten auf Twitter beweist, wie viele auch sehr renommierte Redakteure heute die Themen in den sozialen Medien verfolgen.
Und nun?
Ist Opel ein Einzelfall? Natürlich kann man die Frage stellen, ob Opel überhaupt praktisch in der Lage ist, “Social Media zu machen”. Es sind so viele Parteien beteiligt, dass eine offene, authentische Kommunikation nahzu unmöglich scheint. Aber grade im Fall Opel scheint es mir so zu sein, als ob genau das den Eindruck stärkt, den die Anzeige zu beheben versucht: Das Opel eben nicht handlungsfähig ist. Opel kann derzeit nur das sagen, was mit allen Parteien abgestimmt ist. Für eine offene Kommunikation ist da kein Raum. Oder doch?
Learnings
Ich persönlich lerne aus Opel eine ganze Menge.
- Opel hat nicht einmal die Basis für Kommunikation in Social Media geschaffen. Ich glaube, dass das bei ganz, ganz vielen Unternehmen so ist.
- Es ist für Unternehmen sehr schwierig, Social Media zu nutzen.Eine Werbeanzeige ist schnell geschaltet, es gibt genügend Menschen, die das tun können. Und man kann es relativ leicht unternehmensintern umsetzen. Man braucht einfach weniger Abstimmung, weil es wenig Inhalte gibt.
- Es liegt nicht am Geld.
- Die vielleicht größte Herausforderung ist es, Social Media “corporate-fähig” zu machen. Oder Unternehmen “social-media-fähig”? Das ist sicherlich der längere Prozess. Also über welche Angebote kann man Brücken bauen? (Ich denke z.B. an halb geschlossene Dialog-Plattformen wie “Customer Feedback Communities” z.B. von Globalpark, einem unserer Kunden)
- Und es ist weiterhin ungeklärt, wer denn in den sozialen Medien “spricht”. Es gibt heute (in Deutschland) wohl nur ein paar Hände voll Menschen, die konzern- und social-media-fähig sind. Das zu lösen, ist eine Herausforderung.
Empfehlungen
Ich als jemand, der sich viel mit Kommunikation beschäftigt, würde jedem Unternehmen (zumindest jedem, das über so große Budgets verfügt) raten, zumindest einen kleinen Teil in Social Media zu investieren. Bereits mit 5% des Etats für eine Anzeigenkampagen hätte man im Bereich Social Media irrsinnig viel machen können.
Man muss nicht immer gleich das “Transparente Unternehmen” ausrufen. Und natürlich habe ich auch nicht gleich die Patentlösung für Opel zur Hand. Aber es erscheint mir auch offensichtlich, dass ein Newsfeed über zwei Twitter-Accounts, die nicht mal professionell eingerichtet sind, noch auf ein gewisses Potenzial hinweisen.
Auf der anderen Seite scheint es mir dringend geboten, dass Unternehmen so schnell wie nur irgend möglich anfangen, sich ein Netzwerk aufzubauen. Irgendwo habe ich mal folgenden schlauen Satz gelesen: “Wer es versäumt, sich heute ein Netzwerk aufzubauen, dem wird es Morgen fehlen”, wenn er es braucht.
Debatte
Mir fehlt noch das Ei des Kolumbus. Ich weiß nicht genau, ob und inweiweit Social Media in (Groß-)Unternehmen umsetzbar ist. Es ist wahrscheinlich schlichtweg eine Frage der Zeit. Es mag viele, viele Jahre dauern, bis das Management von (Groß-)Unternehmen verstanden hat, dass wir uns in einem Kulturwandel befinden. Menschen bilden sich ihre Meinung dort, wo sie es wollen. Und diese Meinungsbildung entzieht sich immer mehr dem Zugriff durch die klassischen Marketing-Methoden.
Wer die Meinungsbildung über sein Unternehmen sowie seinen Themen und Produkte nicht überwiegend dem Zufall (oder anderen) überlassen will, muss über kurz oder lang an dem öffentlichen Dialog teilnehmen.
Oder?
Opel investiert Millionen in Print um sich lebendig zu zeigen - und ist tot im Social Web?,
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